Salz - Adrenalin und Seele
"...Gerade wenn Inspirationen aus dieser ganz eigenem Schule des Sehens einwirken auf fotografische Formen
des Erzählens, kann im virtuosen Wechsel von Narration und Abstraktion eine ganz eigene, unverwechselbare
Bildsprache entstehen, wie wir sie in dem Buch „Salz“ von Britta Strohschen finden können."
aus dem Vorwort von Wolfgang Zurborn
IECP Verlag, Rösrath 2016
Leporello
ISBN 978-3-946358-05-3
Diesem Buch liegt die ungebundene Edition „Salt I“ bei.
Britta Strohschen: Salt I, 2013, FineArt Original- Tintendruck,
28x18cm, Auflage 3, datiert, nummeriert, handsigniert
Britta Strohschen Salz
Text von Wolfgang Zurborn
Wenn Wolfgang Peters mit seinem Kutter aus dem Heimathafen Wremen in die Nordsee hinausfährt, ist es bei
aller inzwischen 30jährigen Routine immer wieder eine besondere Herausforderung. Anders als in dem Roman
„Der Alte Mann und das Meer“ von Ernest Hemminway führt er aber keinen epischen Kampf mit einem gigantischen
Fisch. Es geht in der Auseinandersetzung mit der Tierwelt nicht um Leben und Tod. Sein Fang besteht aus
ungefährlichen kleinen Lebewesen, die gut zubereitet eine Delikatesse darstellen, die auf keiner Speisekarte
eines Fischrestaurants fehlen dürfen, „Rotes Gold der Nordsee“ werden die Krabben genannt, aber wie wir aus
vielen legendären Filmen und Romanen gelernt haben, ist jede „Goldsuche“ mit großen persönlichen Risiken
verbunden und verlangt schmerzhafte Entbehrungen. „Die Krabbenfischerei ist kein Beruf, den man sich
auswählt, sondern man wird als solcher geboren“. Diese Aussage macht die existentialistische Haltung des
Schiffseigners und Kapitäns Peters deutlich, die seinem Tun zu Grunde liegt. Die Unausweichlichkeit im
Ringen mit den Gefahren, denen er durch Wind und Wetter bei den Fahrten auf hoher See urplötzlich ausgesetzt
sein kann und das einsame Wirken fern jeglicher Geselligkeit, lässt in den Fotografien von Britta Strohschen
ein Menschenbild entstehen, das auch den Charakterzügen des alten Mannes aus Hemmingways Roman nahe kommt.
Der Übertitel „Adrenalin und Seele“ für die Werkgruppen der letzten Jahren verdichtet im spannungsvollen
Zusammenwirken dieser Begriffe die grundlegende Motivation der Fotografin für ihre Annäherungen an
gesellschaftsrelevante Themen. Das auslösende Moment für ihr Interesse stellt immer der Mensch dar. Mit
einer unstillbaren Neugier erkundet sie sein leidenschaftliches Ringen in der Bewältigung von extremen
Anforderungen in Ausnahmesituationen. Dabei geht es in keiner Weise um eine Zelebrierung des Spektakulären.
Vielmehr verleiht die Sprache ihrer Bilder den seelischen Zuständen der Menschen einen Ausdruck. Der
besondere Fokus liegt dabei häufig auf dem archaischen Verhältnis von Mensch und Tier zwischen Zuneigung,
Abhängigkeit, Machtausübung und Gewalt, wie sie es schon in äußerst komplexer Form in ihrem Buchprojekt „Gen
1:26“ sichtbar gemacht hat, Bezug nehmend auf ein Kapitel aus der Schöpfungsgeschichte.
„Die Vögel unter dem Himmel“ sind es dann auch, die uns zuerst in dem Buch „Salz“ begegnen und die uns
während der Fahrt im Bilderstrom des Buches begleiten. Es sind die auf Nahrung lauernden Möwen, die in
Schwärmen den Krabbenkutter umgebend den Raum bilden, in dem die Fischer Peters und sein Kollege Ralf ihre
Arbeit verrichten. Pittoreske Landschaftsaufnahmen oder stimmungsvolle Sonnenuntergänge als Kulisse für eine
Abenteuerstory wird der Betrachter vergeblich suchen in diesem Buch. Die Fotografin ist nicht auf der Suche
nach imposanten Bildern, sondern nach Zeugnissen eines unmittelbaren Erlebens von Momenten, in denen
elementare Fragen nach existenziellen Zusammenhängen sichtbar werden.
Anders als in einer klassisch journalistischen Serie steht das Handeln der Akteure nicht im Mittelpunkt der
Geschichte. Es geht nicht darum, Arbeitsabläufe chronologisch zu erzählen. Eine sachliche Beschreibung des
Alltags auf dem Krabbenkutter mit allen faktische Details würde ablenken von dem, was Britta Strohschen
wirklich interessiert. Sie will ein authentisches Dokument der Lebens auf dem Schiff schaffen und sie ist
sich bewusst darüber, dass sie dafür eine experimentelle Form einer Bildsequenz wählen muss. Erst die als
Leporello gedruckte rhythmisch aneinandergereihte Bildstrecke vermittelt in expressiver Stilistik ein Gefühl
für die körperlichen Zustände im Kampf mit der rauhen Natur. Immer wiederkehrende Motive von Möwen, Wellen,
und Teilen des Schiffes schaffen eine Sensibilisierung für die endlos wirkenden Zeitabläufe auf dem Schiff
mit all den Phasen in denen nichts Dramatisches passiert. Der Betrachter kann förmlich das Salz schmecken,
das in der Luft liegt und alles durchdringt und die Salzkruste ist zu spüren, die sich auf der Haut bildet.
Die besondere Kunst von Britta Strohschen liegt gerade darin, die Charaktere, denen sie sich fotografisch
annähert, nicht durch ihre Arbeit und ihr Handeln zu definieren, sondern
ihrem Menschsein ein Bild zu verleihen. Diese Unmittelbarkeit und Nähe ist erst möglich durch die Aufgabe
einer objektivierenden Distanz. Alle bildsprachlichen Strategien des Buches unterstützen eine sehr
persönliche Darstellung des Erfahrenen. Die Fotografin entwickelt eine Erzählform, die ihre Dynamik durch
das Zusammenspiel gegensätzlicher visueller Wirkungen erzielt. Stimmungsvolle Farbbilder stehen im direkten
Kontrast zu grafisch verdichteten S/W-Fotografien, präzise Detailaufnahmen prallen auf geheimnisvoll
unscharfe Sichten und düstere Visionen der Nacht auf das gleissende Tageslicht.
Britta Strohschen forciert damit ein Bild der Wirklichkeit, das hinter der sichtbaren Oberfläche liegt und
bietet damit tiefe spirituelle Einsichten in die Vielfalt des Lebendigen.
Diese Intention würde man ursprünglich eher mit Malerei in Verbindung bringen. So entwickelte Paul Klee
einen ganz eigenen visuellen Kosmos, der die Phantasie des Betrachters mit dem Spiel kontrastierender Formen
auf faszinierende Art und Weise permanent wach gehalten hat. Gerade wenn Inspirationen aus dieser ganz
eigenem Schule des Sehens einwirken auf fotografische Formen des Erzählens, kann im virtuosen Wechsel von
Narration und Abstraktion eine ganz eigene unverwechselbare Bildsprache entstehen, wie wir sie in dem Buch
„Salz“ von Britta Strohschen finden können.
